Die Geschichte eines äthiopischen Mädchens

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Gizework, von Joanna Abram

Wir sitzen im Bus nach Eesti. Es ist ein heißer Apriltag in Äthiopien, der Bus ist voller Menschen und er ruckelt zügig die holperigen Wege entlang. Noch ahnen wir nicht, dass der letzte Teil unserer Äthiopien-Reise uns für immer verändern wird. Wir kommen gerade aus Mekerie – dem Dorf, das Hamburger mit Herz e.V. seit 2010 unterstützt. Mit insgesamt sechs Vereinsmitgliedern haben wir dort Spenden übergeben und uns ein Bild vor Ort gemacht. Es ist meine erste Reise nach Äthiopien und sie ist für mich viel emotionaler, als ich jemals geglaubt hätte.

Als wir uns von unseren wunderbaren Patenkindern in Mekerie verabschieden, um mit dem Bus in den nächst größeren Ort zu fahren, bemerken wir in der hinteren Reihe ein Mädchen in Begleitung ihres Vaters. Das Gesicht von Gizework ist zugedeckt, ihr Körper übel zugerichtet. Dieses schreckliche Bild werde ich mein ganzes Leben nicht mehr vergessen.

Gizework ist ein 17-jähriges Mädchen aus dem Dorf Hannah in der Region Amhara in Äthiopien. Ein Mädchen, das ein ganz normales Leben wie alle anderen Kinder in der Gegend führte. Bis zu jener Nacht, in der sie von einer Gruppe unbekannter Männer brutal überfallen und zusammengeschlagen wurde. Von ihrem Vater und ihren Onkeln wurde sie nachts zwei Stunden in das etwas größere Dorf Mekerie getragen, um dort den Bus zum nächstgelegenen Krankenhaus zu nehmen. Eine wahnsinnig anstrengende , zweistündige Fahrt über unbefestigte Straßen. Es muss eine regelrechte Tortur für die Verletzte gewesen sein.

Gleich als wir Gizeworks Geschichte hören, entschließen wir uns, der jungen Äthiopierin zu helfen. Der Vater des Mädchens, ein armer Bauer, würde sich die Behandlung seiner Tochter im Krankenhaus niemals leisten können.

Der Vater des Mädchens, ein armer Bauer, würde sich die Behandlung seiner Tochter im Krankenhaus niemals leisten können. Als wir iin der Stadt Estie ankommen, finden wir nach langer Suche endlich eine Möglichkeit, Gizework in das dortige Krankenhaus zu bringen. Die gute Nachricht: Gizework hat keine inneren Blutungen. Doch ihr Gesicht ist durch mehrere Kieferbrüche so stark entstellt, dass man sie vor Ort nicht behandeln kann.

Die nächstgelegene Möglichkeit für ihre Behandlung sei das Krankenhaus in der Stadt Bahir Dar – eine vierstündige Busfahrt entfernt. Doch es gibt keine andere Möglichkeit des Transports und wir lassen Gizework, vorerst, in guten Händen im Krankenhaus und fahren schon mal vor nach Bahir Dar, um alles weitere zu regeln.

Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen können: Gizework wurde kurz nach unserer Abreise aus dem Krankenhaus entlassen, um in ihrem schlechten Zustand und mit starken Schmerzen mit dem Bus in die Regionshauptstadt zu reisen. Wir fahren daraufhin sofort ins Krankenhaus, um nach der 17-Jährigen zu sehen. Ein wahrer Krankenhausmarathon und der Kampf um Gizeworks Leben beginnen. Denn in keinem Krankenhaus bekommt unser kleines Mädchen die Rundumhilfe, die sie so dringend benötigt. Nicht einmal an etwas Schlaf oder ein wenig Ruhe ist zu denken. Ohne Geld bleiben alle Türen verschlossen.

Im dritten, privaten Krankenhaus erfahren wir, dass sich Gizeworks Zustand durch die fehlenden Medikamente sehr verschlechtert hat und sie mittlerweile in Lebensgefahr schwebt. Die Ärzte warnen, dass das Mädchen jederzeit aufhören könnte zu atmen. Nachdem die Verletzte auf meine eindringlichen Bitten wenigstens Schmerzmittel bekommt, müssen wir in das erste Krankenhaus zurück, das als einziges in der Nähe über Chirurgen verfügt. Dort erwartet uns die nächste Hürde. Man will, dass die junge Äthiopierin die Nacht in der Notaufnahme auf einem Stuhl verbringt. Das ertrage ich nun nicht mehr. Gizework ist vor mehr als 24 Stunden überfallen worden und hatte danach eine unglaubliche Odyssee hinter sich. Es ist Zeit, dass sie endlich zur Ruhe kommt und sich wenigstens etwas erholt. Nach langen Überzeugungsgesprächen mit mehreren Ärzten erzielen wir einen kleinen Erfolg. Gizework darf die Nacht auf einem Tisch/einer Trage in der Chirurgie verbringen.

Als wir am nächsten Morgen zurückkommen, hat Gizework bereits Infusionen und ein Krankenhausbett bekommen – ein Bett zwischen Schmutz und alten Krankenhausutensilien zwar, aber sie kann sich endlich ausruhen. 30 Stunden nach dem Überfall hat sie endlich etwas Ruhe. Nun braucht sie so schnell wie möglich die lebensrettende Operation, aber weit gefehlt. Besonders der Mangel an Bargeld verhindert eine schnelle Hilfe.

Sofort starten wir deshalb in Deutschland einen Aufruf mit der Bitte um Unterstützung für Gizework; in der Hoffnung, zumindest ein wenig Geld sammeln zu können. Doch nur wenige Stunden später ist die unglaubliche Summe von 2.350€ für Gizeworks Operationen und ihre Genesung bereits zusammengekommen. Xx(Anzahl) Menschen haben sofort auf unseren Aufruf reagiert. Wir sind unendlich gerührt und dankbar. Zu wissen, dass wir nicht alleine sind, hat uns noch stärker gemacht, um weiter für Gizework zu kämpfen.

Nachdem wir genug Geld haben, um die Operationen bezahlen zu können,  gibt es „nur noch“ eine letzte Herausforderung: das äthiopische Bürokratie-Chaos. Die Operation wird mehrmals verschoben, wir erhalten widersprüchliche Aussagen, die Ärzte wechseln wiederholt, genauso wie der Ort der Operation. Glücklicherweise treffen wir den schwedischen Kieferchirurgen Dr. Hans, der Gizework letztendlich operiert. Das Mädchen habe sehr komplizierte Kieferbrüche, sagt der Arzt, deshalb sind drei Operationen nötig. Noch während der dritten Operation müssen wir weiter Richtung Flughafen, um unseren Flug nach Deutschland rechtzeitig zu erreichen. Doch wir wissen, dass die 17-Jährige endlich in guten Händen ist und überleben wird.

Kurze Zeit nachdem ich zurück in Deutschland bin, berichtet mir Dr. Hans, dass die Operationen alle gut verlaufen seien und Gizework nun keinen zusätzlich Eingriff mehr benötigt. Ich empfinde ein unbeschreibliches Gefühl der Freude, Erleichterung und des Glücks. Als ob ein Familienmitglied überlebt hätte. Unsere kleine Gizework, die wir gerade mal drei Tage kannten, wird gesund! Ich kann es kaum erwarten, sie bald in Äthiopien wieder in die Arme schließen zu dürfen.