Noch in diesem Jahr wird es wieder soweit sein und Alfred Brendler kann endlich über den Marktplatz in Mekerie spazieren, mit den Kindern der Dorfbewohner fangen spielen und als Gast bei Mary und ihrer Familie leben. Sie hat er sofort ins Herz geschlossen, als er 2009 das erste Mal in Äthiopien war. Damals installierte er im Rahmen der Entwicklungshilfe eine Photovoltaik-Anlage, ein Jahr später reiste er zusammen mit dem HAMBURGER*MIT HERZ-Vorstand Gorden Isler nach Mekerie. Ganze 17 Mal war der 58-jährige Bayer bisher in dem kleinen Dorf in der Amhara-Region, kennt Sitten und Bräuche der Einwohner und genießt immer wieder die Tage am anderen Ende der Welt.

„Natürlich findet dort ein ganz anderes Leben statt. Es gibt kein Leitungswasser, man kann sich nur mit Brunnenwasser waschen, es gibt keinen Strom, keinen Handyempfang. Und man schläft auf einer Matte mit richtig vielen Flöhen, das ist für manche sehr, sehr bitter. Für mich nicht, weil ich offensichtlich flohresistent bin“, erzählt Alfred Brendler und schmunzelt.

Besonders berührt ist der Berufsschullehrer von den Kindern des Dorfes. Zur Begrüßung singen an die 80 von ihnen auf dem Dorfplatz für ihn ein Ständchen. „Mittlerweile kennen sie mich ja und sie lieben es, wenn ich mit ihnen spiele. Das ist für sie das Highlight, wenn ich dann so tue, als würde ich sie fangen: Unser gemeinsames Ritual.“

Jede Woche findet auf dem Dorfplatz von Mekerie ein Wochenmarkt statt, zu dem die Bauern aus der Umgebung mit ihren Waren kommen, mit Schafen, Hühnern oder Getreide, Eiern und speziellen Chilischoten, um sie zu tauschen oder zu verkaufen. „Das ist immer eine riesige Sache“, erklärt Alfred Brendler, „denn sie kennen dort natürlich keine Weißen und sind total überrascht, wenn dann ein großer, weißer Mann über den Markt schlendert.“

Er mag und schätzt die Rituale des Dorfes, die er während seiner zahlreichen Besuche vor Ort kennenlernen durfte. Besonders das Dorf-Komitee beeindruckt ihn. Ähnlich einem Gemeinderat werden hier alle Belange des Dorfes besprochen. Wenn über etwas entschieden werden muss, zum Beispiel eine neue Wasserleitung, werden die zuständigen Mitglieder zusammengetrommelt und es wird so lange diskutiert, bis eine Lösung gefunden ist. „Das ist auch manchmal etwas kompliziert, weil sie sehr lang miteinander diskutieren. Damit keiner sein Gesicht verliert, wird nämlich immer ein Kompromiss gesucht. Das dauert natürlich, aber das Ganze ist sehr demokratisch. Und für uns ist ja wichtig, dass die Leute vor Ort selbst entscheiden und wir ihnen nicht irgendetwas aufdrücken.“

In all den Jahren, die Alfred Brendler nun schon regelmäßig nach Äthiopien reist, um die Menschen vor Ort ganz praktisch zum Beispiel bei der Wasserversorgung oder mit Solarlampen zu unterstützen, durfte er auch einige der religiösen Traditionen der Äthiopier kennenlernen. Die Meisten sind sehr gläubig und halten streng jeden der 52 Feiertage im Jahr ein. Besonders die 40-tägige Fastenzeit wird strikt befolgt. „Ich war ja öfters an Ostern dort und dann wird man richtig ausstaffiert“, erinnert sich Brendler. „Die Hausherrin bereitet weiße Tücher für uns vor, die wie ein Gewand um uns herumgeschlungen werden, und wir gehen alle zusammen in der Osternacht in die Kirche. Dort wird gesungen – von abends um 19 Uhr bis zum Sonnenaufgang. Nach Ostern wird das Lamm Gottes geschlachtet. Es wurde zuvor auf dem Markt gekauft, dann geschlachtet und schließlich mit der Familie und den Gästen gegessen. Das ist dort das große Oster-Ritual.“

In diesem Jahr plant Alfred Brendler wieder eine lange Reise nach Mekerie. Mal sehen, welche Geschichten und Anekdoten er diesmal von dort mitbringen wird.

Äthiopiens Kultur ist einzigartig und vielseitig, auch die Menschen Äthiopiens könnten unterschiedlicher kaum sein. Die Einwohner unterteilen sich in etwa 100 verschiedene Ethnien, wobei jede von ihnen eigene Traditionen hat. Die Völker der Oromos mit 34% und der Amharas mit 29% machen den größten Anteil der Bevölkerung aus.

Besonders im Süden des Landes leben einige urtümliche Volksstämme noch sehr abgeschieden von der Außenwelt. Da Äthiopien nie eine Kolonie war und das Land dadurch nur wenigen fremden Einflüssen ausgesetzt war, sind bis heute viele Bräuche erhalten geblieben. So zum Beispiel bei den Mursi, deren Frauen für ihre Lippenteller bekannt sind. Brauchtümer werden auch heute noch vielfach praktiziert, obwohl die äußeren Einflüsse besonders seit 1990 durch Handelsliberalisierung, Medien und Tourismus größer geworden sind.

Religion spielt in Äthiopien nicht nur im Alltag, sondern auch in der Musik, der Kunst und der Literatur eine große Rolle. Die meisten Äthiopier sind tiefgläubig. Das Christentum (hauptsächlich äthiopisch-orthodox) mit 63% und der Islam mit 34% sind die beiden größten Religionen. Viele Sitten und Bräuche muten biblisch-archaisch an. Fremde fühlen sich zeitweise auch heute noch in die Zeit des Alten Testaments zurückversetzt.

Feiern und Fasten wechseln sich in einem strengen Rhythmus ab. An den 250 Fastentagen im Jahr, von denen 180 verpflichtend sind, nehmen die Hochlandbewohner nur eine Mahlzeit und keine tierischen Produkte wie Fleisch, Eier oder Milch zu sich. Besonders in ländlichen Regionen werden diese Vorschriften noch sehr genau befolgt.

Die meisten Äthiopier leben als Kleinbauern auf dem Land und versorgen sich selbst – mit eigenen Ziegen und Kühen sowie etwas Feldanbau. Doch viele junge Äthiopier ziehen heutzutage vom Land in die moderneren Städte, um dort zu studieren. Diese Generation unterscheidet sich stark von der ihrer Eltern. Sie ist gebildet und über den Rest der Welt informiert. So kann man bei einem Besuch des Landes den spannenden Umbruch zwischen Tradition und Moderne spüren.

Die offizielle Amtssprache ist Amharisch und wird von 80% der Bevölkerung gesprochen. Abhängig von Region und ethnischer Zugehörigkeit werden bis zu 90 Sprachen angewandt. Äthiopische Kinder lernen zunächst ihre Muttersprache und dazu noch Amharisch. Außerdem müssen sie sich schon früh in Englisch üben, denn in der Schule werden ab dem 13. Lebensjahr alle Fächer auf Englisch unterrichtet.

Der äthiopische Kalender ist eine in Äthiopien verwendete Variante des koptischen Kalenders. Am 12. September 2007 begann das äthiopische Jahr 2000. Die Differenz zu unserem Kalender beträgt also sieben Jahre und acht Monate. Äthiopien ist das einzige Land der Welt, in dem das Jahr 13 Monate hat. Zwölf Monate haben eine Länge von 30 Tagen. Dazu kommt noch ein am Jahresende eingeschobener Monat mit fünf oder sechs Tagen, abhängig davon, ob das Jahr ein Schaltjahr ist oder nicht. Auch interessant: Die Äthiopier berechnen die Uhrzeit ab der Stunde, in der die Sonne aufgeht. Daher ist es bei ihnen ein Uhr (die erste Stunde des Tages), wenn es bei uns schon sieben Uhr ist.

Was bei Besuchen in Äthiopien immer wieder auffällt: Die Menschen bringen eine unglaubliche Ruhe mit sich. Auch ihre große Solidarität untereinander, ihre unbändige Lebensfreude und Neugier auf Neues sind gute Gründe, diesem Land immer wieder einen Besuch abzustatten.

 

Daten & Fakten

Hauptstadt                          Addis Abeba

Amtssprache                      Amharisch

Staatsform                          parlamentarische Bundesrepublik

Währung                              Äthiopischer Birr (ETB)

Zeit                                         MEZ + 2 Std (Winter); MEZ + 1 Std (Sommer)

 

Äthiopien und Deutschland im Vergleich

                                               Äthiopien                                        Deutschland

Fläche                               1.104.380 km²                                357.385 km²

Einwohner                      ca. 102 Mio.                                     ca. 82 Mio.

BIP                                       7237 Mrd. USD                            3,47 Bio. USD

BIP p. P.                              706,76 USD                                    41.936 USD

Bevölkerungsdichte        93 Einwohner/km²                        ca. 230 Einwohner/km²

 

Von Joanna Abram

Kinder in Mekerie rennen und hüpfen auf der Straße lachend auf die Kamera zu

Am 25. Januar, 18 Uhr eröffnen wir in den Räumen der HERZKAMMER eine neue Ausstellung. „Das Leben in Mekerie“ heißt sie und nimmt mit auf die Reise in unser Patendorf in Äthiopien. Mit dieser Ausstellung möchten wir Ihnen den Alltag und die Kultur der Menschen aus dem äthiopischen Dorf Mekerie näher bringen. Das beharrliche Leben, aber auch die unglaubliche Lebensfreude. Die Reise führt durch wunderschöne Landschaften, um den schwer zugänglichen und weit abgelegenen Ort zu erreichen.
Die Bilder sind während unserer zahlreichen Reisen zu unseren Patenkindern entstanden und können käuflich (zugunsten unserer
Arbeit vor Ort) erworben werden.

Die Ausstellung ist bis zum 18. März in den Räumen der HERZKAMMER, Heider Str. 1, zu sehen.
Fotografen: Joanna Abram, Markus Huth, Maik Lüdemann

Mehr Infos zu unserem Engagement in Mekerie gibt es hier.